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Lützerath, die Grünen & die Klimabewegung: die Legende vom guten Zar

Liebe Leute,

nach der Schlammschlacht von Lützerath (Öffnet in neuem Fenster), die trotz der taktischen Niederlage zeigte, dass die Klimabewegung wieder da, wieder (wenn sie geeint steht (Öffnet in neuem Fenster)) ein Machtfaktor ist, den politische Akteure at their own risk verraten, hintergehen oder belügen, ist in der Klimabubble (also in der online-Simulation einer Bewegung) eine Debatte darüber entbrannt, wohin die neugewonnene oder auch wieder gefundene Bewegungsmacht sich nun richten sollte. Es geht um die Beziehung zwischen der Klimabewegung einerseits, und den Grünen sowie politischen Parteien im allgemeinen. In short: die eine Position, die ich in Ermangelung besserer oder vielmehr überzeugenderer Ideen teile, besagt, dass wir so viel wie möglich auf die von mir jetzt nur noch “sogenannten Grünen” genannte Partei draufhauen, um zu zeigen: “if you mess with us, you'll get hurt (Öffnet in neuem Fenster)”.

“Parteieninelastische” Strategien

Eine der Ideen dahinter ist, dass in der Geschichte sowohl uns näherstehende, als auch weiter von uns entfernte politische Parteien “unsere” Forderungen ähnlich unzureichend umgesetzt haben – der rot-grüne Atomausstieg von 2002 war ein ziemlich schlechter Witz, der von der Bewegung weitgehend abgelehnt wurde, sie aber ausreichend spaltete, um mehrere Jahre de facto lahmgelegt zu sein; inhaltlich war da der 2011 verabschiedete Atomausstieg eigentlich besser, und der kam von schwarz-gelb; jetzt haben wir wieder eine grün-mitgeführte Regierung, und die Klimaziele werden verfehlt, fossile Gasinfrastruktur wird ausgebaut, etc.

Wir können also nicht vorhersagen, welche Politik eine gegebene Regierungskoalition machen wird, da dies weniger von den guten (oder schlechten) Vorsätzen dieser oder jener Partei abhängt, als von den dann relevanten Krisen und natürlich vor allem von konkreten Machtverhältnissen und -konstellationen. Das bedeutet, dass die Strategie einer jeden sozialen Bewegung soweit wie möglich “parteieninelastisch” sein, d.h., so wenig wie möglich davon abhängen, wer in der Regierung ist, sondern darauf basieren sollte, dass jede Partei Angst davor haben muss, Dinge zu tun, die der Agenda der Klimabewegung zuwiderlaufen.

NB: Der Merkelsche Atomausstieg wurde übrigens aus der Angst der Union geboren, bei den einige Wochen nach der Explosion von Fukushima und mitten in der darauf folgenden gigantischen Mobilisierungswelle der Antiatombewegung stattfindenden Landtagswahlen im bis dahin allzeit-unionsregiertem Baden Württemberg ihr “Stammland” an die Grünen zu verlieren. Das geschah dann zwar auch (Mappus war zu schwach und schlecht, Kretschmann der perfekte konservativ-gläubige “Grüne” für das Autoland BaWü). Angst vor starken progressiven Bewegungen lässt politische Parteien gelegentlich gute Sachen, auch, wenn sie sonst nur scheiße sind.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir so dumm sein sollten, zu denken, eine schwarz-blaue Koalition wäre von uns ähnlich leicht “abzustrafen”, wie eine mit den Grünen – weshalb ich auch immer für progressive Regierungskoalitionen bin. Aber wenn solche Koalitionen, ganz besonders die Grünen, denen nunmal die symbolische Kernkompetenz “Klima- und Umweltschutz” zugeschrieben wird (Öffnet in neuem Fenster), der Klimabewegung Versprechen machen, somit unsere Wähler*innenstimmen einheimsen, und diese Versprechen dann brechen, dann können wir nicht anders reagieren, als sie abzustrafen, sonst werden wir politisch nicht mehr ernst genommen. Nochmal: Politik handelt nicht von guten Intentionen, sondern von Macht. Wer hat sie, wer hat sie nicht, wem wird zugehört, wem nicht. Und da das Kapital “die Politik” durch die implizite Drohung des “Investitionsstreiks” jeden Tag strukturell unter Druck setzt (“Wenn Ihr Policy XYZ durchsetzt, denn wird so das Investitionsklima schlechter werden, ergo weniger Arbeitsplätze und weniger Steuern!”), müssen wir dagegenhalten. Sorry for the Greens, if you get caught in the crossfire – but you put yourselves there.

Only Nixon could go to China

Ein zweiter Gedanke, der mich davon überzeugt, dass es richtig ist, jetzt die sogenannten “Grünen” entlang der Achse “aber die sind gar keine Klimaschutzpartei” anzugreifen, ist die Tatsache, dass die Grünen gar keine Klimaschutzpartei sind. Schaut doch mal, was passiert, wenn die angebliche “Ökopartei” (Parteien leben nicht von den realen Policies, die sie durchdrücken, sondern von den symbolischen Zuschreibungen zu Werten und “Kernkompetenzen”, die eigentlich nur in unseren Köpfen existieren – inwiefern z.B. ist die FDP “liberal”?) in Industrieländern (oder -bundesländern) regiert, von Österreich zur BRD, von BaWü über Hessen bis NRWE: je näher an der Macht, desto weniger Grün, und Kretsch zeigt, wo's langgeht. Tief mit dem Kopf in den Arsch der Autoindustrie, denn – wie schon vor einigen Monaten geschrieben (Öffnet in neuem Fenster) – die neue grüne “Gouvernmentalität” ist: nur Grüne regieren grün, aber um zu regieren, muss mensch grüne Prinzipien verraten, also ist das grünste, was Grün tun kann, grüne Prinzipien verraten, damit Grün regieren kann. Die Grünen sind eine Partei des Wirtschaftswachstums (klar, sie hätten es halt gerne “grün”, aber das ändert nichts am Problem), das Problem beim Klima aber ist das Wachstum, ergo können die Grünen keine Klimaschutzpartei sein.

Es ließe sich sogar argumentieren – mit einer nicht unerheblichen Menge politischer Geschichte im Rücken – dass die Grünen genau die Partei sind, die die Klimabewegung verraten und ins politische System kooptieren können, während es gerade Konservative sein könnten, die die großen Schritte gehen. Wieso? Because only Nixon could go to China (ein liberaler Demokrat wäre dafür geschreddert worden), nur die SPD (dito Blair und Clinton) konnten den Sozialstaat demontieren, und nur die Umweltverbände konnten in der Kohlekommission die Klimabewegung spalten. Die Logik sollte klar sein: die SPD kann die Gewerkschaften einhegen, und davon abhalten, gegen einen Sozialkahlschlag zu demonstrieren, gar zu streiken, weil sie diese schon vorher in Verhandlungen und Gespräche eingebunden hatten, diese dann also plötzlich mit ihrem Namen für einen Kompromiss stehen, der ihren ureigensten Positionen zuwiderläuft (vgl. Umweltverbände und KoKo), die mögliche Bewegung gegen so eine Politik aber spaltet.

Klar, ich bin kein Fan von einem Nixon (Merz?) an der Regierung. Aber es sollte mittlerweile klar sein: die einfach Gleichung Mehr Grün = Mehr Klimaschutz empirisch, konzeptionell und strategisch einfach Quatsch ist, und dass die zentrale Frage nicht sein sollte: wen wähle ich? Wählen ist wichtig, findet aber nur alle paar Jahre statt und ist als Korrektiv individueller Policies tatsächlich nur begrenzt geeignet. Die Frage muss sein: wie bauen wir so viel Bewegungsmacht auf, dass jede Partei unsere Forderungen (teilweise) umsetzen muss, und/oder gegen uns keine Politik gemacht werden kann?

Die Legende vom guten Zar

Ich schreibe dies nur 5 Tage nach den Ereignissen von Lützerath, wo grün-befehligte Cops eine Reihe von Klimaaktivist*innen krankenhausreif prügelten; während gerade jetzt im Moment der grüne Verkehrsminister Hessens, Tarek al-Wazir, dafür sorgt, dass der von der Klimabewegung besetzte Fechenheimer Wald (Öffnet in neuem Fenster)zuerst geräumt, und dann abgeholzt werden kann; während der grüne Klimaminister Habeck im Bund aktiv den 3. fossilen Lock-in vorantreibt, qua Ausbau fossiler Gasinfrastruktur (LNG); und natürlich während der zweitmächtigste Grüne des Landes, Kretschmann, wie gesagt irgendwo in den Gedärmen der Autoindustrie verloren gegangen ist. Ich schreibe dies also in einer Situation, in der die Aussage “lasst uns nett zu den Grünen sein, lasst sie uns immer wählen, weil, wir haben keine andere Wahl” keine Strategie mehr ist, sondern ein nicht-falsifizierbares Dogma: “kein Klimaschutz? Dann haben wir nur die Grünen nicht ausreichend unterstützt/gewählt/gepusht, also noch mal mehr davon jetzt, dann klappt's auch mit dem Klimaschutz!” Dogmen sind keine gute strategischen Anleitungen, s. die LINKE Fixierung auf die Arbeiter*innenklasse.

Aber das hat so schon alles seine Richtigkeit, denn es geht den Verteidiger*innen der Grünen hier nicht wirklich um Strategie, es geht, wie üblich in der Verdrängungsgesellschaft (Öffnet in neuem Fenster), darum, sich nicht schlecht zu fühlen, nicht anzuerkennen, dass sich alles verändern muss – auch möglicherweise die eigene privilegierte Position z.B. im Wissenschaftsbetrieb, oder als angeblich “grüner Entrepreneur” (man mag ja durchaus Status und Privilegien – believe me, I know). Damit sie sich nicht schlecht fühlen müssen, angesichts ihres felsenfesten, postfaktischen Glaubens an und in die Grünen, angesichts der Abwesenheit eines radikalen Bruchs mit dem Bestehenden in der eigenen Vita, nutzen sie hier einfach eine Neuauflage der alten “Legende vom guten Zar/König”, die es Menschen mit einem grundlegenden Glauben entweder an die Autoritäten über ihnen, oder um die Normalität um sie herum, diesen nicht infrage zu stellen, egal, wie oft einem diese Autoritäten auf den Kopf scheißen.

Die Legende geht so: Die Grünen wollen nur Gutes, der Rest sind alles ignorante Pösewichte. Ergo kommt alles Gute, was aus einer von den Grünen mitgeführten Regierung kommt, von den Grünen, alles schlechte kommt von ihren Koalitionspartner*innen (FDP, SPD, Union, völlig egal), auch und gerade wenn die Grünen die stärkste Partei sind, wie in BaWü. Die Struktur, werdet Ihr vielleicht merken, dieser Erzählung ist eben identisch mit der Erzählung vom guten Zar Nikolaus, oder dem guten König Louis XVI, die im prärevolutionären Russland und Frankreich kursierten. Dort wurde sich untereinander erzählt (merke: wir reden hier von im Grunde autoritätsgläubigen & -willigen Subjekten) dass all die schlechten Dinge, die das Land derzeit plagten, nicht vom Zar/König kämen, sondern von seinen schlechten, korrupten und teuflischen Courtiers, Bojaren, Beratern. Der Zar/König selbst wolle nur gutes für seine Untertanen.

Diese Erzählung existiert, um den eigenen Autoritätsglauben nicht hinterfragen zu müssen, die mittlerweile völlig unrealistische Hoffnung, dass im Rahmen der gegebenen Verhältnisse (Zarismus, Monarchie, fossiler Kapitalismus respektive) die von einem selbst für wichtig gehaltenen Autoritäten doch das richtige machen werden, die einfachen Bäuer*innen schützen, die Getreidepreise reduzieren, oder, im Fall der Arschlochgesellschaft Dummschland, noch in der Lage sein könnte, Klimaschutz zu machen.

Der Grundgedanke hinter der ganzen Ignoranz unserer radikalen aber empirisch völlig richtigen Argumente zu den Grünen und zu Parteien ist: “wenn die Grünen so scheiße sind, wie die Radikalen sagen; wenn da wirklich so wenig aus den Parlamenten zu erwarten ist, ohne radikalen, kompromisslosen Druck, dann müsste ich ja, wenn ich mich ethisch ernst nehme, auch zu so nem Klimaradikalen werden; vielleicht Gesetze brechen; gar in den Knast gehen. Das geht nun wirklich nicht, dafür... mag ich mein derzeitiges Leben viel zu sehr. Nein, die Grünen dürfen nicht pöse sein, egal, was da für Beweise existieren. Es kann nicht wahr sein, was nicht sein kann.”

Soviel erstmal dazu, die Debatte geht bestimmt heftig weiter. Ich freu mich auf Antworten, und wie immer: if you like, subscribe & support.

Danke,

Euer Tadzio

Kategorie Lützerath

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