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Einen Versuch ist es wert

Einen Versuch ist es wert

(2017)

Wenn die Nachbarskinder fragen, ob man dann und wann,
wenn sie verreisen, ihr Kaninchen betreuen kann,
macht man’s gerne, bis ein Unfall die Sache erschwert,
weil man im Garten mit dem Rasenmäher drüberfährt.
Sind die Kinder wenig später aus dem Urlaub zurück
und erwähnt man dann im Nebensatz das Missgeschick,
lässt man Tränen der Trauer lieber gar nicht erst zu
und lädt die Kinder ein auf ein Kaninchenragout.

Das ist freundlich gemeint, wenn auch wenig begehrt –
aber einen Versuch ist es wert!

Hat man wieder mal den Sommerregen unterschätzt
und die Grillparty deshalb drinnen fortgesetzt,
kann die glühende Kohle aufs Parkett gelangen
und ein Vorhang durch heiße Funken Feuer fangen.
Wenn man dieses Unglück dann zu spät erkennt
und das Haus bis auf die Grundmauer niederbrennt,
und fällt es einem schwer, den Verlust zu ertragen,
kann man immer noch den Hersteller des Grills verklagen.

Das ist zwar absurd und juristisch verkehrt –
aber einen Versuch ist es wert!

Wenn ein Blatt, das vom Pressekodex nicht viel hält,
die Verlierer der Gesellschaft an den Pranger stellt,
seine Leser mit Ängsten vor dem Fremden impft
und Arbeitslose gern als Schmarotzer beschimpft;
wenn ein solches Blatt behauptet, mehr Mitgefühl
für die Schwachen sei seit Jahren sein höchstes Ziel,
überhaupt sei es wichtig, versöhnlich zu schreiben,
statt die Menschen immer weiter auseinander zu treiben,

dann ist Glaubwürdigkeit dadurch kaum beschert –
aber einen Versuch ist es wert!

Arbeitet ein Großkonzern mit Steuertricks
und erhält der Staat am Ende vom Gewinn fast nix,
fehlt das Geld für Bildung und man scheitert am
öffentlichen Investitionsprogramm.
Wenn der Großkonzern dann lächelnd in die Bresche springt,
eine Stiftung gründet und sogleich mit Geldern winkt,
eine Schule auf den Namen seines Gründers tauft,
wird er nach außen als Retter des Landes verkauft;
obwohl er nur die eigene Verfehlung verklärt –
aber einen Versuch ist es wert!

Wer die Wirtschaft kritisiert und suggeriert,
dass er vor Kapitalisten nicht kapituliert
und Begriffe benutzt wie „Schweinesystem“,
ist als Zeitgenosse eher unbequem.
Doch wenn er, solange das System besteht,
mit der Kritik daran auf Bühnen und zum Fernseh’n geht,
ist es immerhin möglich – dem System sei gedankt –
dass er dort für sein Gerede viel Geld verlangt;

solange das Publikum sich nicht beschwert –
denn einen Versuch ist es allemal wert!