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Alte Texte für neue Ohren

ALTE TEXTE FÜR NEUE OHREN

Die Reihe “Alte Texte für neue Ohren” wurde bereits im Kabarettprogramm “Allein unter Menschen” so angekündigt, dass sie zum Ziel habe, der nachwachsenden Generation lyrische Stoffe aus vergangenen Zeiten näherzubringen. Damit dies gelinge, sei es oft notwendig, die jeweiligen Originale a) zu kürzen und b) inhaltlich abzuändern. Abweichungen von der ersten Regeln kommen aber durchaus vor. Die Ergebnisse derartiger Bearbeitungen sind hier nachzulesen.


Die Greta-Frage

(2019)

„Wie hältst Du’s mit der Religion?“
So wird seit Weimars Klassik schon
die schöne junge Frau zitiert,
mit der sich Heinrich Faust liiert.
Würd Faust, wie Goethe ihn beschrieben,
sich heutzutage frisch verlieben,
so gäb es angesichts der Lage
statt Gretchen- eine Greta-Frage –
und diese lautete präzise:
„Wie hältst Du’s mit der Klimakrise?“
Und falls den Teufel jemand früge,
auf welche Seite er sich schlüge
in einer Klimadiskussion,
wär klar: Wie bei der Religion
steckt auch bei dieser Streiterei
der Teufel nicht nur im Detail –
denn als ein Teil von jener Kraft,
die Freiheit will und Grenzen schafft,
gehört er längst als Ich und Du
als Rädchen im System dazu.


Der Mythos von Europa

(2017)

Europa war ein Königskind,
auf das man sich noch heut besinnt,
weil’s Teil von jener Story ist,
die man auf unserm Kontinent
als dessen Gründungsmythos kennt,
wobei man allzu oft vergisst,

was im Detail geschah. Man weiß:
Es gab den Göttervater Zeus,
der hatte offenbar entschieden,
als Stier Europa aufzuspüren
und dieses Mädchen zu verführen.
Doch hat der Volksmund gern vermieden,

den Mythos richtig zu erzählen,
sodass gewisse Teile fehlen,
die sonst vermutlich unschön klängen.
Laut Urtext, dem die Ehr gebührt,
hat Zeus Europa nicht verführt –
es war wohl eher ein Bedrängen:

Europa war nicht vorgewarnt
und wurd von Zeus (als Stier getarnt)
an einen fernen Ort verfrachtet.
Da half ihr auch kein „Nein heißt nein“ –
sie wurde nicht einmal zum Schein
als selbstbestimmte Frau geachtet.

Zeus hatte nur sich selbst im Blick
und ließ Europa bald zurück –
nicht ohne sie zuvor zu schwängern.
Sie plante sich ins Meer zu stürzen,
um so ihr Leben abzukürzen,
anstatt ihr Leiden zu verlängern.

Doch als sie auf der Klippe stand,
erschien im leuchtenden Gewand
die schöne Göttin Aphrodite.
Die sagte nur: „Was soll der Quatsch?
Gleich macht es Platsch und du bist Matsch.
Hör erst mal an, was ich dir biete:

Sieh in der Ferne all das Land –
das wird schon bald nach dir benannt,
verzichtest du darauf, zu springen.“
Europa fühlte sich benutzt,
doch war sie einfach zu verdutzt,
um sich letztendlich umzubringen.

So klingt der Mythos frei von Lack.
Es bleibt ein fader Beigeschmack,
denn ohne Tod durch einen Sprung
basiert im Schein des Happy Ends
die Gründung dieses Kontinents
auf einer Vergewaltigung.


Die Bürgschaft

(2012)

In unseren Landen und Zeiten schleicht
niemand zu fiesen Tyrannen,
wie einst Schillers Verse begannen.
Bei dieser Entwicklung denkt man vielleicht,
die Demokratie hätte sehr viel erreicht,
die Fieslinge wären verschlissen
und alles wär nicht so beschissen.

Doch ist im Land eine Bank einmal krank,
so bürgt der Staat für die Fehler
zum Ärger der mündigen Wähler.
Die Bürger erfahren dann keinerlei Dank,
stattdessen äußert sich krank die Bank:
„Ich bleibe – das ist keine Bitte –
in eurem Bunde die Mitte!“


Die Elster

(2012)

Mitternacht umgab mich düster,
machte mich im Kopf noch wüster
als ich mich seit Tagen fühlte –
aufgewühlt und dennoch leer.
Deshalb wollt’ ich Ruhe haben;
plötzlich hörte ich ein Schaben
wie vom Schnabel eines Raben
von der Eingangstüre her.
„Sicher niemand, den ich kenne“,
dachte ich, „nur irgendwer.
Ich erwarte keinen mehr.“

Ach, ich fühlte mich so kläglich,
denn ich grübelte unsäglich:
Was ist lebenslang erträglich
und was macht das Dasein schwer?
All mein Denken, mein Empfinden
wollt’ ich en detail ergründen,
um den Lebenssinn zu finden.
Doch so lange und so sehr
ich mein Großhirn auch bemühte,
schien mein Kopf mir schrecklich leer
und ich dacht, jetzt käm nichts mehr.

Was war das? Es klopfte wieder!
Langsam streckte ich die Glieder,
um zur Wohnungstür zu gehen.
Ich erhob mich matt und schwer
und bewegte mich zur Türe,
hoffend, dass ich dort erführe,
wer mich bei der Nacht-Lektüre
meines Großhirns bittesehr
so entschieden stören wollte.
Aber draußen war es leer,
vor der Tür stand niemand mehr.

Ich begann mich umzuschauen,
wollte meinen Ohren trauen,
die das Klopfen vorhin hörten.
Drang es nicht von draußen her?
Hatte ich es falsch vernommen
und nur Winde mitbekommen,
fragte ich mich ganz beklommen –
draußen blieb es still und leer.

Ich verriegelte die Türe,
wünschte, dass das alles wär
und es käme niemand mehr.
Drinnen wollte ich mich setzen –
da vernahm ich mit Entsetzen,
dass das Klopfen wiederkehrte.
Dort vom Fenster kam es her!
Etwas schabte leis und pickte,
pochte, klopfte, kratzte, tickte,
was sich nachts gewiss nicht schickte.
Darum fragte ich mich, wer
diesen Lärm erzeugen mochte
und was war wohl sein Begehr?
Weiter wusste ich nicht mehr.

Als ich, ohne dies zu wissen,
dann das Fenster aufgerissen,
war ich selber höchst verwundert,
denn von draußen flog nun quer
eine Elster durch das Zimmer,
schwarz und weiß, mit blauem Schimmer.
So was trifft man ja nicht immer –
wo kam dieses Wesen her?
Höflich fragte ich den Vogel:
„Sag, wie heißt du, bittesehr?“
Drauf die Elster: „Immer mehr!“

„Dich“, entfuhr’s mir voll Entzücken,
„wird gewiss der Himmel schicken,
um mich endlich zu erleichtern,
dass ich nicht mehr wie bisher
jede Nacht ins Leere stiere
und bis morgens früh sinniere,
wie ich bloß mein Leben führe,
leitet sich das Ziel nicht her.
Elster, eine Frage hätt ich:
Brauch ich Ruhm und große Ehr?“
Sprach der Vogel: „Immer mehr!“

Das, was diese Elster krächzte,
war, wonach ich täglich lechzte:
eine Antwort für das Leben!
Es beschäftigte mich sehr.
Somit wollte ich es wagen,
meine ganzen Daseinsfragen
an das Tier heranzutragen,
schienen sie auch noch so schwer.
„Sag, wie viel sollt’ ich mir nehmen
von dem Gut, das ich begehr?“
Drauf die Elster: „Immer mehr!“

Wieder klang der Satz entschieden,
daher war ich höchst zufrieden
mit dem Auftritt jenes Vogels,
der mich musterte und der
sitzen blieb und sich nicht trollte,
als ich von ihm wissen wollte,
wo man Urlaub machen sollte.
„Sag, empfiehlst Du Küsten-Flair
oder aber hohe Berge,
wo ich nur sehr ungern wär?“
Sprach die Elster: „Immer Meer!“

Weiter stellte ich die Fragen,
die mir so am Herzen lagen:
„Sag, was braucht zu seinem Glücke
bittesehr ein Milliardär?
Will ich gut und sinnvoll leben
und mich nicht so schnell ergeben –
sag, was sollte ich erstreben?
Und wie viel Verzehr ist fair?
Oder gar aus Fitnessgründen:
Was empfiehlst Du beim Dessert?“
Sprach die Elster: „Immer mehr!“

Heut bekenn’ ich völlig offen:
Seit ich dieses Tier getroffen,
geht’s mir mit dem Leben besser,
denn ich nehm es kaum noch schwer.
Früher hin und her gerissen,
muss ich Luxus heut’ nicht missen,
denn ein nerviges Gewissen
plagt mich auch nicht mehr seither.
Will ich hören, was ich brauche,
fühle ich mich manchmal leer,
spricht die Elster: „Immer mehr!“


Der PS-König

(2007)

Wer rast noch so spät durch Nacht und Winde?
Es ist Kurt-Kevin mit seiner Sieglinde.
Er hält das Lenkrad gar fest in den Händen,
der Porsche saust fort und die Fahrt will nicht enden.

„Sieglinde, was birgst du so bang dein Gesicht?“
„Kurt-Kevin, ach siehst du den Blitzer denn nicht?
Den Blitzer – und schau: Hier ist 30er-Zone!“
„Das interessiert mich, mein Schatz, nicht die Bohne.“

Er hat für Bedenken im Hirn keinen Platz,
für ihn ist die Fahrt ein Orgasmus-Ersatz.
Vielmehr noch: Er fühlt sich im Rasen bestärkt.
Doch bald wird der Porsche von Dritten bemerkt.

„Kurt-Kevin, Kurt-Kevin, und hörest du nicht:
Sirenen ertönen mit hellblauem Licht!“
„Beruhige dich endlich, oh hübsche Sieglinde,
wir kümmern uns nicht um das Bullen-Gesinde!“

Kurt-Kevin bleibt cool und er äußert vulgär:
„Der Wagen gibt viel – nur mein Schwanz gibt noch mehr!“
Zwar ist’s (unter uns) eine faustdicke Lüge,
doch stecken im Irren stets menschliche Züge.

Es geht immer weiter, sie rasen im Nu
auf einen niedrigen Tunnelbau zu.
Sieglinde mit kreischender Stimme jetzt spricht:
„Kurt-Kevin, das passt von der Höhe her nicht!“

Die Decke des Tunnels den Ausruf beweist,
indem sie das Dach von dem Wagen nun reißt.
Kurt-Kevin jedoch weiß an Lob nicht zu sparen:
„Ich wollte schon immer ein Cabrio fahren.“

Dem Mädchen wird schlecht bei der Fahrt durch die Nacht,
denn ihr hat das Rasen nur wenig gebracht.
Sieglinde ist grün, doch die Ampel zeigt rot;
Kurt-Kevin folgt somit dem Hirn in den Tod.


Das Lied vom Gesetz

(2007)

Fest gemauert in der Erde
steht die Form für ein Gesetz.
Jeder Bürger hofft, dies werde
gut für das soziale Netz.
In die Politik fließe viel Geschick;
stolz will man das Werk vollenden,
Segen kommt vom Präsidenten.

Im Werke, das wir ernst bereiten,
steckt große Zukunft für das Land;
wenn hübsche Phrasen es begleiten,
klingt selbst das Dümmste elegant.
So lasst uns motiviert betrachten,
wohin uns Interessen tragen!
Doch muss man auch Minister achten,
die gar nicht wissen, was sie sagen.
Denn was den Menschen wirklich zieret,
sind weder Denken noch Verstand,
es kommt drauf an, dass er regieret,
ganz selbstbewusst mit starker Hand!

Nehmt Worte, die nach Freiheit klingen,
sie sollten aber trocken sein!
Und um das Werke zu vollbringen,
schmeißt alles, was ihr wollt, hinein!
Kocht mit vielen Köchen
Brei und gebt Versprechen,
dass die Paragraphenspeise
fließe nach des Rechtes Weise.

Was man im Ausschuss überlegt,
im kleinen Kreis, dem Kabinett,
schon bald ein ganzes Volk bewegt,
sind die Gesetze erst komplett.
So werden sie an allen Tagen
die Menschen auf den Wegen lenken
und schlimmstenfalls die Bürger schlagen,
wenn diese eigenständig denken.
Wer unten steht, dem sei zu raten,
in Disziplin sich zu erproben!
Vom Bürger kann man ja erwarten:
Er hört auf das, was kommt von oben!

Blubberblasen sieht man springen,
die Gesetze sind im Fluss.
Lasst’s mit Fachjargon durchdringen,
zeigt es ruhig im Überfluss.
Frei von Widersprüchen,
rein und abgeglichen
seien nun die Paragraphen,
jeder Einwand ist zu strafen!

So hat man schließlich die Gesetze
und wartet auf den schönen Klang,
man wünscht, dass niemand sie verletze
und spürt schon einen Neuanfang.
Die Macher stehen stolz daneben,
das Interessenspektrum klein,
und hauchen den Gesetzen Leben
zum Wohle aller Bürger ein.
Doch das klingt schwach und nicht sehr echt.
Hier ist wohl etwas schief gelaufen.
Denn als vernünftig und gerecht
lässt sich das Ganze nicht verkaufen.

Ein Minister meint zu wissen,
bloß die Form sei Schuld daran,
und behauptet ganz beflissen,
Hohlraum brächte bess’ren Klang.
Alle Bürger fragen,
wo die Fehler lagen.
Drum bedenkt vor jeder Wahl:
Liegt’s vielleicht am Mat’rial?


Warum in die Ferne schweifen?

(2012)

Warum in die Ferne schweifen,
liegt die weite Welt so nah?
Lerne nur zur Maus zu greifen,
denn das Internet ist da!

Warum noch nach draußen gehen,
ist es drinnen so bequem?
Sich die Straßen anzusehen,
ist – dank Google – kein Problem.

Warum selber etwas kochen,
gibt es Pizza – Punkt – D – E?
Das ist selbst für viele Wochen
tragbar für dein Portemonnaie.

Warum noch mit Menschen reden,
sind die Chatrooms doch so groß?
Außerdem wirst du dort jeden,
der dich nervt, viel schneller los.

Warum eigentlich studieren?
Und wenn doch, dann nur zu Haus.
Du kannst gern den Job verlieren –
sorg mit Online-Poker aus!

Warum den Charakter stärken?
Achte auf Design und Stil!
Letztlich bleibt von allen Werken
nur auf Facebook dein Profil.

Warum sich die Mühe machen,
sich der Welt in echt zu zeigen?
Über analoge Sachen
wird man später nämlich schweigen.

Denn was bleibt, ist digital,
und im Licht des schönen Scheins
bleibt am Ende nur die Wahl
zwischen Null und einer Eins.


Wir Geister, die ihr rieft

(2012)

Hat der Staat im Bildungswesen
sich doch einmal wegbegeben.
Immer wieder war zu lesen,
das sei absolut daneben.
Tief sitzt diese Wunde,
näht sie bloß nicht zu!
Nutzen wir die Stunde
für den Meister-Coup!
Dank der Lücken,
die da klaffen,
lässt sich’s schaffen
abzuschätzen,
wie wir uns mit Loorbeer’n schmücken
und die Staatsmacht fix ersetzen!

Lasst uns neue Schulen gründen,
aber solche, die was kosten!
Die Idee wird sicher zünden –
erst im Westen, dann im Osten.
Denn die Eltern blechen,
wenn sie sicher sind:
Das, was wir versprechen,
halten wir beim Kind.
Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Deutsche Universitäten,
fern von Humboldts Idealen,
platzen längst aus allen Nähten
und der Staat kann’s kaum bezahlen.
Denn um’s Finanzieren
ist es schlecht bestellt;
besseres Studieren
bieten wir für Geld.
Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Wenn wir bald als Bildungsquellen
kostenlose Arbeitsblätter
Lehrern zur Verfügung stellen,
gelten wir schon bald als Retter
für die leeren Kassen
und im Schulsystem
glaubt man: Wir befassen
uns mit dem Problem!
Füllt die Lücken, füllt die Löcher,
noch und nöcher
mit Int’ressen!
Schüler soll’n aus freien Stücken
alles, was wir bieten, fressen!

Dazu muss es heut gelingen,
in den Bildungsunterlagen
uns’re Werbung einzubringen
für die Lehrer und die Blagen.
Das ist viel subtiler
als man’s von uns kennt.
Jeder dieser Schüler
ist ein Konsument!
Lerne, lerne, blöder Haufen,
denn zum Kaufen
braucht es Deppen,
die nicht zögern und die gerne
jeden Schrott nach Hause schleppen!

Sind wir Geister erst gerufen,
wollen wir für immer bleiben,
und die Mächte, die uns schufen,
werden uns wohl kaum vertreiben.
Ist sein Geld verflossen,
braucht uns dieser Staat –
lächelnd uns entschlossen
schreiten wir zur Tat:
Alle Lücken, die wir finden
und ergründen
woll’n wir füllen,
und es wird uns stets beglücken,
lebt man dann nach unserm Willen!